18.12.2023

Paukenschlag aus Erfurt

BAG will vom strengen Maßstab der Massenentlassungsanzeige abrücken

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Hintergrund

Wenn Umstrukturierungen anstehen, bleiben betriebsbedingte Kündigungen oftmals nicht aus. Gerade bei Standortschließungen sind zahlreiche Kündigungen notwendig. Bei Überschreiten gewisser Schwellenwerte (zwischen 20 und 60 Beschäftigte 5 Beendigungen, zwischen 60 und 500 Beschäftigte 10% oder mehr als 25 Beendigungen und ab 500 Beschäftigte mindestens 30 Beendigungen) ist nach § 17 KSchG gegenüber der Arbeitsagentur eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten.

Die Massenentlassungsanzeige bezweckt, dass die Arbeitsagentur sich auf den zu erwartenden Anstieg an Arbeitslosenmeldungen vorbereiten kann.

Das Anzeigeverfahren hat nach § 17 KSchG zahlreiche Vorgaben. Nicht nur werden detailliert Informationen abgefragt, sondern es muss auch der Betriebsrat um eine Stellungnahme gebeten werden. Ferner gibt es Sperr- und Freifristen, innerhalb derer die Kündigung nicht ausgesprochen werden darf oder ausgesprochen werden muss, weil ansonsten ein neues Anzeigeverfahren zu beginnen ist.

Beim Anzeigeverfahren kann der Arbeitgeber zahlreiche Fehler begehen. Neben unvollständigen Angaben sind es oftmals die Fristen und die Beteiligung des Betriebsrates, die in der Praxis Fragen aufwerfen. So sind die Maßnahmen meist auch mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen und ein Klassiker ist die Frage, ob der Interessenausgleich zugleich die notwendige Stellungnahme des Betriebsrates darstellt oder nicht.

Sachverhalt und Entscheidung

Der 6. Senat hat mit Beschluss vom 14.12.2023 (Az 6 AZR 157/22 (B)) nach § 45 Abs. 3 ArbGG an den 2. Senat eine Anfrage gestellt, denn er möchte von der Entscheidung des 2. Senats abweichen.

In der Pressmitteilung heißt es, der 6. Senat beabsichtige, seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB unwirksam ist, wenn im Zeitpunkt ihrer Erklärung keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt.

Der 6. Senat sieht darin (zu Recht) eine entscheidungserhebliche Abweichung zur Rechtsprechung des 2. Senats (BAG, 22.11.2012 – 2 AZR 371/11).

Das Verfahren wird bis zur Antwort ausgesetzt. Sollte der 2. Senat bei seiner Ansicht bleiben, muss nach § 45 Abs. 2 ArbGG der Große Senat entscheiden.

Bewertung

Da der EuGH in seinem Urteil vom 13.07.2023 (Az C-134/22) urteilte, dass das nach der Richtlinie vorgesehene Anzeigeverfahren nicht bezwecke, dem Arbeitnehmer Individualschutz zu gewähren, könnte es sein, dass sich die Ansicht des 6. Senats durchsetzt.

Zu begrüßen wäre es. Denn es bedeutet eine enorme Entlastung der Arbeitgeber und einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit.

  • Dr. Konrad Maria Weber
    Rechtsanwalt, Partner T +49.89.2000 568 60 / +49.40.539 323 180
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