03.04.2019

Öffentlicher Auftraggeber:
EuGH verlangt Angabe einer Höchstmenge bei Rahmenvereinbarungen

EuGH, Urteil vom 19.12.2018 – C - 216/17

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Rahmenvereinbarungen legen den übergeordneten Rahmen für Einzelbeauftragungen und die Bedingungen für deren Erteilung fest. Die Vergabe der Einzelbeauftragungen erfolgt dann innerhalb dieses Rahmens (Leistungsabruf).

Rahmenvereinbarungen unterliegen dem Vergaberecht. Die Einzelbeauftragungen auf Basis einer wirksamen Rahmenvereinbarung nicht, d.h. sie können ohne Vergabeverfahren erteilt werden.

Die durch eine Rahmenvereinbarung erfolgende Bündelung der Beschaffungsvorgänge ermöglicht öffentlichen Auftraggebern eine deutliche Verfahrensvereinfachung: Die einzelnen Leistungsabrufe sind hinsichtlich Umfang und Zeitpunkt flexibel. Diese Flexibilität wird durch eine aktuelle EuGH-Entscheidung eingeschränkt.

Das Urteil betrifft drei wesentliche Punkte:

  1. Muss in einer Rahmenvereinbarung eine Höchstmenge der möglichen Leistungsabrufe angegeben werden?
  2. Wer kann Aufträge auf Grundlage einer Rahmenvereinbarung erteilen?
  3. Was geschieht bei Überschreitung der für Rahmenvereinbarungen geltenden Regellaufzeit (vier Jahre)?

Sachverhalt

Eine italienische Gesundheitseinrichtung schloss eine von 2011 bis 2021 laufende Rahmenvereinbarung über Reinigungs- und Abfallentsorgungsleistungen mit einem Dienstleister ab. Neben dem Ausschreibenden waren in den Vergabeunterlagen 18 weitere potenzielle öffentliche Auftraggeber namentlich genannt.

Im Vertrag wurde keine Höchstmenge der zu beschaffenden Dienstleistungen angegeben.

Im Jahr 2015 beauftragte einer dieser namentlich benannten Auftraggeber den Dienstleister, unter Berufung auf die Rahmenvereinbarung, d.h. ohne Vergabeverfahren.

Gegen diese Direktvergabe wandten sich zwei Konkurrenten des Dienstleisters. Das nationale Gericht legte dem EuGH entsprechende Vorlagefragen vor.

Entscheidung

Vorab

Das Vorabentscheidungsverfahren wurde vom EuGH auf Grundlage der zum 18.04.2016 aufgehobenen Richtlinie 2004/18/EG entschieden.

Aus unserer Sicht ist das Urteil allerdings auf die aktuelle Richtlinie 2014/24/EU übertragbar. Dies, da sich das Gericht – insbesondere hinsichtlich der Höchstmenge – auf den Wortlaut der Richtlinie aus 2004 bezieht, der identisch in der neuen Richtlinie wiederzufinden ist. Auch die weitere Argumentation des EuGH ist auf die heute geltende Rechtslage übertragbar.

Zu 1.

Der EuGH fordert die Angabe einer Höchstmenge der durch die Rahmenvereinbarung zu beschaffenden Leistungen. Jedenfalls solange der Vertrag den „normalen Bedarf“ betreffe, könne dies unproblematisch erfolgen.

Das Gericht argumentierte wie folgt: Aus den Schätzregeln für den Wert der Rahmenvereinbarung ergebe sich bereits, dass eine Vorstellung über die Höchstmenge bestehen müsse. Außerdem wäre es eine Beeinträchtigung des Transparenz- und Gleichbehandlungsgebotes, wenn man die Gesamtmenge nicht angebe – schließlich würden die Einzelbeauftragungen (Leistungsabfragen) nicht mehr veröffentlicht. Letztlich konkretisiere die Pflicht zur Angabe der Höchstmenge das Verbot, Rahmenvereinbarungen missbräuchlich oder in einer Weise anzuwenden, durch die der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht werde.

Laut dem EuGH verliere die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung sobald die Höchstmenge erreicht werde. Einzelaufträge könnten sich dann nicht mehr auf die Rahmenvereinbarung beziehen und würden ein eigenes Vergabeverfahren erfordern.

Zu 2.

Der EuGH entschied: All diejenigen öffentlichen Auftraggeber, die in der Auftragsbekanntmachung (bzw. in der Aufforderung zur Interessenbestätigung) ausdrücklich genannt sind („sekundäre öffentliche Auftraggeber“), können Leistungen aus der Rahmenvereinbarung abrufen. Dadurch werde die Effizienz des öffentlichen Beschaffungswesens gestärkt.

In Art. 33 Abs. 2 der aktuellen Richtlinie 20014/24/EU wird dies ausdrücklich so geregelt. Die Bezeichnung kann namentlich oder durch Bezugnahme auf eine bestimmte Kategorie öffentlicher Auftraggeber innerhalb eines klar abgegrenzten geografischen Gebiets erfolgen, vgl. Erwägungsgrund 60 zur Richtlinie 2014/24/EU.

Zu 3.

Die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen ist grundsätzlich auf 4 Jahre beschränkt, es sei denn, es liegt ein im Gegenstand der Vereinbarung begründeter Sonderfall vor. Dies galt sowohl nach der alten Richtlinie (Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG) als auch heute nach § 21 Abs. 6 VgV.

Die Kläger hatten im streitigen Verfahren vorgetragen, dass aufgrund der Laufzeitüberschreitung der in Frage stehende Vertrag keine Rahmenvereinbarung sei.

Laut EuGH könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Betriebs einer Gesundheits-einrichtung eine Überschreitung der Regellaufzeit rechtfertigen könnte. Es sei Sache des nationalen Gerichts, das Vorliegen eines Sonderfalls abschließend zu prüfen.

Weiter führt der EuGH aus, dass – selbst wenn ein Sonderfall nicht vorläge – es sein könne, dass ein solcher Vertrag in den ersten vier Jahren seiner Anwendung einen gültigen Rahmenvertrag darstelle und nach Ablauf dieses Zeitraums unwirksam werde.

Danach können Einzelbeauftragungen nach dem Ablauf von 4 Jahren sich nicht mehr auf die Rahmenvereinbarung beziehen und erfordern ein eigenes Vergabeverfahren.

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber sind gut beraten, bei Rahmenvereinbarungen eine Höchstmenge der abrufbaren Leistungen anzugeben.

Ist die Höchstmenge erreicht, endet die Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung – unabhängig von der vorgesehenen Laufzeit. Ein entsprechend klarstellender Hinweis könnte in die Vereinbarung mit aufgenommen werden.

Vereinzelt dürften Einzelbeauftragungen, die über die Höchstmenge hinaus erteilt werden, auf Grundlage des § 132 GWB erfolgen. Mit der Vergaberechtsreform wurden zum 18.04.2016 erstmals in § 132 GWB die Voraussetzungen für Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit kodifiziert (Art. 72 Richtlinie 2014/24/EU). Die Norm enthält einen Negativkatalog, der unwesentliche Änderungen definiert, die kein neues Vergabeverfahren erfordern

Diana Ferri, LL.M. (King’s College London), Rechtsanwältin
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